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Erben oder wen Mama und Papa am liebsten hatten

von Dr. Nikolaus Braun

Sehr geehrte Damen und Herren,

wie versprochen, werde ich Ihnen heute noch einmal eine Geschichte erzählen, die mir ein Leser unseres Blogs im Rahmen meiner Arbeit an meinem neuen Buch Geld oder Leben erzählt hat. Sie bringt, so finde ich, auf großartige Weise auf den Punkt, warum Geld in so vielen Zusammenhängen nicht einfach nur Geld ist, sondern eine Chiffre, ein Symbol oder ein Brandbeschleuniger für andere (ungelöste) Lebensprobleme.


Bei kaum einer Sache wird das so deutlich wie beim Streit, nein, beim Krieg ums Erbe.

Ein ungelebtes Leben

Als Dieter mit seinem älteren Bruder Hans und dessen Familie am Grab seiner Mutter stand, fuhren die Gefühle in seinem Kopf Karussell. Sein Leben lang war er nicht von daheim ausgezogen und letztlich immer ein kleiner Junge geblieben. Mit seinem Vater war er zwar immer gut ausgekommen, aber im Grunde genommen war es nicht verkehrt gewesen, die letzten acht Jahre Mama ganz für sich gehabt zu haben. Jetzt würde er allein in dem Haus wohnen, das schon für ihn und seine Mutter ein gutes Stück zu groß war.

Zumindest über ein Problem würde er jetzt mit 59 Jahren endlich nicht mehr nachdenken müssen: Geld. In den letzten Monaten hatte er Mama überredet, ihn zum Alleinerben zu machen. Schließlich war er es, der sich so intensiv um sie gekümmert hat, während Hans weitgehend sein eigenes Leben lebte. Der würde bei der Testamentseröffnung blöd schauen.

Überhaupt, Hans – wie ungerecht konnte das Leben sein: Dem war alles irgendwie in den Schoß gefallen: eine offenbar relativ glückliche, zumindest skandalfreie Ehe, zwei gesunde Kinder und inzwischen auch vier relativ herzeigbare Enkel. Schon vor knapp 40 Jahren hatte der eben frisch verheiratete Hans mit finanzieller Hilfe der Eltern auf dem Nachbargrundstück in Waldtrudering ein Haus gebaut. Seitdem konnte Dieter, wenn er aus seinem (ehemaligen) Kinderzimmer schaute, wie in einer Seifenoper das Leben einer Bilderbuchfamilie mit klassischer Rollenverteilung beobachten: spielende Kinder im Garten, Hans‘ relativ attraktive Frau Sonja, der man, wenn man Glück hatte, bei der Gartenarbeit ein Stück unter den Rock sehen konnte, Grillabende mit Freunden, Geburtstagsfeiern, Taufen, Weihnachtsfeste. Dazu machte Hans bei BMW eine übersichtliche, aber letztlich anständige Karriere.

Dieter dagegen blieb dagegen weiter bei Mama und Papa, mehr Zuschauer im Leben seines Bruders und Vaters als Gestalter seines eigenen. Nach einem mäßigen Schulabschluss und einer Ausbildung war er 35 Jahre lang kaufmännischer Angestellter in einem kleineren zahntechnischen Betrieb gewesen, ohne je wirklich voranzukommen. Von den Kollegen wurde er zum Teil so sehr als Muttersöhnchen verspottet, dass er sich in den Neunzigerjahren eine Eigentumswohnung in Fröttmaning gekauft hatte, damit die Personalabteilung die Post nicht mehr zu seinen Eltern schicken musste. Eine Wohnung, die jetzt seit 30 Jahren leer stand.

Mit den Frauen – das hatte irgendwie nie richtig geklappt. Die letzten zaghaften Versuche lagen jetzt schon über zehn Jahre zurück, und auch, wenn er immer wieder mal abends am Straßenstrich vorbeigefahren war, das war ihm dann doch zu würdelos oder zu unheimlich. Inzwischen hatte er 20 Kilo Übergewicht und erhebliche Beschwerden beim Gehen, was seinem Selbstbewusstsein endgültig ein Ende bereitete. Das Einzige, was ihm als Vergnügen blieb, war seine Mitgliedschaft im Männergesangsverein München-Trudering. Dort ging er zweimal die Woche zur Probe hin und die halbjährlichen Aufführungen waren die Glanzpunkte in seinem kleinen und weitgehend ungelebten Leben. Doch das sollte jetzt, da endlich Geld in Hülle und Fülle da war, anders werden. Jetzt, so beschloss er, war es zwar spät, aber nicht zu spät.

In den folgenden vier Jahren entbrannte ein heftiger Rechtsstreit zwischen Dieter und seinem Bruder Hans. Nachdem nicht nur die beiden Brüder, sondern auch die jeweils verpflichteten Anwälte auf Krieg und Sieg statt auf Vergleich setzten, verbrannten die beiden nicht nur erhebliche finanziell Ressourcen für den Konflikt, sondern investierten auch jede Menge Emotionen – keine guten. Befeuert wurde das Ganze noch dadurch, dass beide ja direkt nebeneinander wohnten und so permanent den Verursacher der eigenen Kränkung vor Auge hatten. Wie in fast jedem Erbrechtsstreit ging es auch hier nur vordergründig um harte Euro. Im Grunde wollten beide durch eine objektive Instanz – das Gericht – feststellen lassen, wer den Eltern wie viel wert gewesen war. Das Geld war nicht einfach nur Geld, es war ein bis auf die Nachkommastelle genauer Maßstab für die Liebe und Zuwendung von Mama und Papa. Genauer: dafür, wen Mama und Papa lieber gehabt hatten.

Dieter hatte sich zwar durchgerungen, wöchentlich psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen, erwies sich aber auch in den Therapiesitzungen als ausgesprochen beratungsresistent, wenn es darum ging, einen Ausgleich mit seinem Bruder zu suchen. Wenn es nur endlich ein Gerichtsurteil gäbe, dann – so fantasierte er – könne er abschließen und sein Leben beginnen. Bis dahin erlaubte er sich auch kaum, Teile des geerbten Vermögens, der akkumulierten Zuwendung seiner Eltern auszugeben.

Im Mai 2021 steckte sich der gesundheitlich deutlich vorbelastete Dieter in seinem Männerchor mit Corona an. Nach sechs Wochen im Krankenhaus kam er kaum mehr auf die Beine und verstarb schließlich im Juli desselben Jahres. Da er so auf den Krieg mit seinem Bruder fixiert war und es offenbar kaum etwas gab, für das er sich ernsthaft begeistern konnte, hatte er selbst kein Testament verfasst. Die Hinweise seines Therapeuten hatte er hier ebenso standhaft ignoriert wie den Rat seines Anwalts. So erbte am Ende sein Bruder sein gesamtes Vermögen.

Alles Liebe

Ihr Nikolaus Braun

P. S.: Am 12.04.2023 erscheint im Campus-Verlag mein zweites Buch unter dem Titel Geld oder Leben. Wie Sie aufhören, Unsinn mit Ihrem Vermögen zu treiben. Ein Finanzratgeber (fast) ohne Ratschläge. Aber – unter anderem – vielen Geschichten zum Nachdenken.


Wenn Sie uns eine formlose Email an nachdenken@neunundvierzig.com schicken, dann können Sie - direkt nach Erscheinen - ein von mir persönlich gewidmetes Exemplar erwerben. Alternativ können Sie Geld oder Leben auch heute schon über Amazon vorbestellen.

P.P.S.: Hier noch drei unserer Lieblingsblogs zum Thema Zeit und Geld

18/03/2023

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