von Dr. Nikolaus Braun
Sehr geehrte Damen und Herren,
Daniel Kahnemann und Amos Tversky haben überzeugend nachgewiesen, dass Menschen bereit sind, einen irrational hohen Preis zu zahlen, um die verschwindend geringe Wahrscheinlichkeit, dass ein unerwünschtes Ereignis eintritt, auf null abzusenken. So entscheiden sich Menschen lieber dafür, sicher 88 US-$ zu erhalten, als mit 98 % Wahrscheinlichkeit 100 US-$ zu gewinnen – und das, obwohl die zweite Variante ganz offensichtlich einen um 10 US-$ höheren Erwartungswert hat. Diese als Sicherungseffekt beschriebene kognitive Verzerrung ist auch auf sehr hohe Geldbeträge übertragbar. Im dritten Teil unserer Reihe zum Kapitalverbrauch im Alter erläutern wir, wie Sie mit dieser Unsicherheit zurechtkommen.
Verlustaversion führt zu Fehlentscheidungen
Auf die Sicherung des Lebensstandards im Ruhestand übertragen, lautet Kahnemanns Erkenntnis, dass Menschen eine bescheidene, aber sichere Rentenzahlung einer deutlich attraktiveren, aber nicht genau kalkulierbaren Kapitalmarktlösung vorziehen. Grundlage der Entscheidung ist dabei noch nicht mal eine saubere Kalkulation von Erwartungswerten und Wahrscheinlichkeiten, sondern ein diffuses Gefühl. Die Entscheidung fällt meist intuitiv, bevor ein strukturiertes Nachdenken überhaupt einsetzen hätte können. Das ist umso unreflektierter, als es diese hundertprozentige Sicherheit ja gar nicht gibt. Etwa das Risiko, dass Ihre Lebensversicherung Ihren Vertrag im Rahmen eines sogenannten Run-off an ein anderes Versicherungsunternehmen verkauft und daraufhin die monatliche Rentenzahlung – ganz legal – spürbar abgesenkt wird. Das ist den Kunden schlicht unbekannt.
Unsere Erfahrung als Honorarberater: Vermögensverbrauch erhöht die Nervosität bei Kapitalmarktschwankungen
Dass Menschen, die Kapital verbrauchen, nervöser auf Kapitalmarktschwankungen reagieren als diejenigen in der Aufbauphase, ist nicht anders zu erwarten. Das erlebe ich in meiner täglichen Arbeit permanent, live und in Farbe. Deshalb habe ich Ihnen in meinem Beitrag über Strategien für den Vermögensverbrauch auch empfohlen, lieber ein Sicherheitsnetz zu viel als eines zu wenig einzubauen. Nicht, weil es unglaublich rational wäre, an jeder Ecke Horrorszenarien zu unterstellen. Aber weil sonst das Risiko, dass Sie die Strategie nicht durchhalten, zu hoch ist und dass Sie doch noch aus Sorge um Ihren künftigen Lebensstandard in Krisensituationen die Reißleine ziehen.
Eine hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht
Wenn Sie dennoch weiter auf der Suche nach der hundertprozentigen Sicherheit sind – die es ohnehin nicht gibt – und Sie dennoch lieber eine Versicherung abschließen wollen: Sie sollten sich stets vor Augen halten, dass in einem Großteil der extremen Crash-Szenarien am Kapitalmarkt auch eine Versicherung in existenziellen Schwierigkeiten sein wird. Die freie Marktwirtschaft in Gänze wird sich wieder erholen – ein einzelnes Versicherungsunternehmen vielleicht nicht.
Und Sie sollten an die Menschen denken, die Sie lieben. Eine Kapitalmarktlösung wird Ihnen mit hoher Wahrscheinlichkeit ermöglichen, einen guten Teil Ihres Vermögens diesen Menschen zu hinterlassen. Wenn Sie etwa mit 65 mit einer Entnahme beginnen, die auf Basis eines Kaufkrafterhalts Ihres Vermögens kalkuliert ist, wird bei einer nur durchschnittlichen Kapitalmarktentwicklung beim Erreichen Ihrer durchschnittlichen Lebenserwartung noch über die Hälfte des Vermögens übrig sein.
Unsicherheit ertragen
Am Ende bleibt Ihnen nichts anderes übrig, als ein gewisses Maß an Unsicherheit zu ertragen. Um damit klarzukommen, helfen Ihnen vermutlich Yoga und Meditation mehr als das eingehende Studieren des Wirtschaftsteils der Süddeutschen Zeitung oder gar das Konsumieren von Finanzzeitschriften.
Alles Liebe
Ihr
Nikolaus Braun
Neunundvierzig Honorarberatung
P. S.: Rückfragen, Kritik oder Anmerkungen schicken Sie gern an nachdenken@neunundvierzig.com
Hier die weiteren drei Beiträge aus unserer Serie zum Kapitalverbrauch:
• Wie Sie Fehler vermeiden
• Strategien für den Vermögensverzehr
• Die Angst vor dem Tod
23/03/2024