von Dr. Nikolaus Braun
Sehr geehrte Damen und Herren,
Menschen tun sich unserer Erfahrung nach ausgesprochen schwer, erspartes Kapital im Alter wieder auszugeben. Denn dabei kommt eine ganze Reihe mehr oder minder rationaler Überlegungen und Emotionen zusammen: die Angst, dass das Geld nicht reicht; der Wunsch, den eigenen Kindern etwas zu hinterlassen; die Schwierigkeit, nach Jahren des Ansparens das mentale Programm von Anhäufen auf Verbrauch umzustellen, und nicht zuletzt die Konfrontation mit der eigenen Endlichkeit.
Finanzielle Lebensplanung ist immer mit Unsicherheit behaftet
Jeder dieser Punkte ist bereits einzeln ein dickes Brett und wir sind im Regelfall weder besonders kompetent noch besonders gewillt, uns diesen Themen zu stellen. Dazu befeuert sich die Unsicherheit bei all diesen Punkten gegenseitig. Und das bei einer Angelegenheit, bei der es letztlich nur eine Gewissheit gibt: Es gibt keine Gewissheit. Das ist zwar schwer zu akzeptieren, aber nicht zu ändern. Denn nicht nur der Kapitalmarkt oder die steuerlichen Rahmenbedingungen sind kaum berechenbar, vor allem ist es das eigene Leben: Liebe, berufliche Veränderungen, Schicksalsschläge. Auch hier ist nur eines gewiss: Dass wir im Grunde nur sehr wenig wissen.
Vor dem Hintergrund widmen wir dem Thema eine vierteilige Reihe, die
- mit den gängigsten Fehlannahmen und Irrwegen aufräumt,
- Ihnen ein paar Faustregeln für den Kapitalverbrauch an die Hand gibt,
- zeigt, wie Sie die mit dem Kapitalverbrauch verbundene Unsicherheit besser ertragen können, und
- erklärt, was ein Vermögensverzehr mit der Angst vor dem Tod zu tun hat.
Bevor ich Ihnen also eine praktikable und rationale Lösung dafür vorstelle, wie Sie sicherstellten, dass Ihnen das Geld im Alter nicht ausgeht, werfen wir einen Blick auf die wichtigsten Trugschlüsse. Denn es ist, wie in jedem Bereich finanzieller Entscheidungen, erst mal viel wichtiger, die groben Fehler zu vermeiden, als alles exakt richtig zu machen.
Fast schon ein Mantra: Finger weg von Kapitallebensversicherungen
Wenn Sie den Rest Ihres Lebens eine Rentenzahlung absichern wollen, liegt es da nicht schon sprachlich nahe, eine sofort beginnende Rentenversicherung abzuschließen? Nein, überhaupt nicht. Bis auf wenige Ausnahmen ist dieses Produkt eine Katastrophe: Es ist intransparent und teuer, reduziert damit den Lebensstandard, bringt die folgende Generation mit schöner Regelmäßigkeit um einen Teil ihres Erbes und Sie damit um einen Teil Ihrer finanziellen Lebensleistung. Weil das Produkt von Otto Normalverbraucher bis zur Topmanagerin und Unternehmerin fast jeden betrifft, haben wir dem Thema schon so viele Beiträge gewidmet, dass ich hier einfach auf die unten verlinkten Artikel und den wunderbaren Gastbeitrag Hände weg von Sofortrenten von Prof. Hartmut Walz verweise.
Ein klassischer Fehler: eine zu niedrige Aktienquote im Alter
Innerhalb der Kapitalanlage ist der häufigste Irrweg das sogenannte Lebenszyklusmodell. Hier werden in den Jahren vor dem Ruhestand die Aktienpositionen einer Vermögensverwaltung oder Rentenversicherung schrittweise in Anleihen umgeschichtet, um dann mit Ende der Erwerbsarbeit bei null oder nahe null anzukommen. Stichwort: Risikoreduktion. Dabei gibt es jedoch eine erhebliche Denkfalle: Laut Statistischem Bundesamt hat ein 65-jähriger Mann in Deutschland noch eine Lebenserwartung von rund 18, eine Frau sogar von über 21 Jahren. Wenn das Geld also schrittweise bis ans Lebensende ausgegeben werden soll, ist das zumindest für große Teile des Vermögens ein sehr langer Anlagehorizont, oft länger als die Ansparphase. Das Vermögen für so lange Zeit kampflos der Inflation zu überlassen, ist alles andere als schlau.
Aktienquote = 100 minus Lebensalter: anschaulich, aber falsch
Dazu ist diese Herangehensweise völlig blind gegenüber individuellen Lebens- und Vermögenssituationen. Etwa: Brauche ich die Entnahmen aus dem Depot für die allerwichtigsten Grundbedürfnisse oder nur für eine Verbesserung meines Lebensstandards? Ähnlich stumpf ist deshalb auch die Faustregel „Aktienquote ist 100 minus Lebensalter“, nach der ein 50-Jähriger höchstens 50 %, ein 75-Jähriger höchstens 25 % Aktien halten sollte. Gilt das für jemanden, bei dem es sehr eng werden wird, genauso wie für Menschen mit erheblichem Vermögen? Rechne ich das über mein Gesamtvermögen oder nur für mein Depot? Ist es egal, wie sicher und hoch meine sonstigen Einkünfte sind? „100 minus Lebensalter“ ist also höchstens ein Hinweis, dass man klug beraten ist, mit zunehmendem Alter Kapitalmarktrisiken abzusenken.
Ihr Honorarberater warnt: Vorsicht bei zu hohen Entnahmen
Während die Regel „100 minus Lebensalter“ oder Lebenszyklusmodelle von meist übertrieben pessimistischen Annahmen ausgehen, findet man auf der anderen Seite immer wieder viel zu offensive Pauschalaussagen, was die Höhe einer möglichen jährlichen Entnahme angeht: 4, 5 oder gar 6 % des Vermögens seien im Ruhestand unproblematisch. Im Regelfall werden dabei viel zu optimistische Annahmen getroffen – insbesondere bei den unterstellten Renditen für Anleihen. Das ist nicht verantwortungsvoll. Ihre Strategie muss ja auch in schlechteren Kapitalmarktszenarien funktionieren und auch, wenn Sie sich partout nicht an das statistische Durchschnittsalter halten wollen. Mag sein, dass eine 65-jährige Frau im Schnitt 86 Jahre wird. Das hilft aber nichts, wenn Sie zu den 20 % der 65-Jährigen gehören, die schon heute über 95 werden.
Was Sie also brauchen, sind einerseits realistische Annahmen und andererseits eine Reihe von Vorsichtsmaßnahmen und Sicherheitsnetzen, damit Ihnen das Geld auch reicht. Das schauen wir uns beim nächsten Mal an.
Alles Liebe
Ihr
Nikolaus Braun
Neunundvierzig Honorarberatung
P. S.: Rückfragen, Kritik oder Anmerkungen schicken Sie gern an nachdenken@neunundvierzig.com
Hier die weiteren drei Beiträge aus unserer Serie zum Kapitalverbrauch:
• Strategien für den Vermögensverbrauch
• Mit Unsicherheit klarkommen
• Die Angst vor dem Tod
27/01/2024