von Dr. Nikolaus Braun
Sehr geehrte Damen und Herren,
im zweiten Teil unserer Serie zum Kapitalverbrauch möchte ich Ihnen zeigen, wie eine solide und gleichzeitig pragmatische Lösung aussieht. Das ist sicher nicht die weltbeste oder gar präziseste Lösung und im Prinzip ist sie ein gutes Stück zu vorsichtig. Insbesondere ist sie aber für Selbstentscheider praktikabel, beherrschbar und relativ gut mental durchzuhalten.
Sicherheitsnetz 1: Optimistische Lebenserwartung ermitteln
Als Erstes müssen Sie dazu wissen, wie viel Geld Sie für Ihre Altersvorsorge benötigen respektive eine wie hohe Entnahme Sie vermutlich lebenslang durchhalten können. Hierfür sollten Sie herausbekommen, wie hoch Ihre statistische Lebenserwartung noch ist. Und weil Ihnen das Geld nicht ausgehen darf, nur weil Sie sich nicht an das statistische Durchschnittsalter halten, sollten Sie wissen, wie alt Sie werden, wenn Sie zu den Menschen gehören, die zu den 20 % der Menschen mit dem höchsten erreichten Lebensalter gehören. Mit 65 sind das bei Männern derzeit 93 Jahre, bei Frauen sogar 95. Damit bauen Sie ein erstes Sicherheitsnetz ein: Sie kalkulieren mit einer weit überdurchschnittlichen Lebenserwartung. Und wenn Sie überängstlich sind oder Ihr Kapital eher knapp, dann legen Sie noch ein oder zwei Jahre drauf.
Sicherheitsnetz 2: Kapital für die nächsten fünf Jahre zurückstellen
Bevor Sie Vermögen am Kapitalmarkt anlegen, sollten Sie das Geld, das Sie in den nächsten fünf Jahren verbrauchen wollen, auskoppeln und legen es in kurz laufenden Anleihen sehr guter Schuldner an oder nutzen bei Beträgen von unter 100.000,- € auch meinetwegen ein Festgeld. Davon beißen Sie die ersten Jahre ab.
Nach jedem positiven Kapitalmarktjahr füllen Sie dieses Fünf-Jahres-Budget aus Ihrem Depot heraus wieder auf. In Krisenzeiten müssen Sie abwarten. Das können Sie bei dem von mir empfohlenen Puffer ja notfalls fünf schlechte Kapitalmarktjahre durchhalten. Das reicht mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit dafür, dass sich etwa eine Strategie mit 50 % Aktienquote auch nach heftigen Krisen wieder erholt.
Warum so vorsichtig?
Sie verhindern so, dass Sie Positionen, die im Verlust sind, für den Verbrauch verkaufen müssen, und entschärfen damit ein Stück weit das gefürchtete Sequenzreihenrisiko, also das Risiko, dass die übelsten Jahre einer Kapitalmarktinvestition ganz am Anfang liegen und Ihnen das Gesamtergebnis verhageln. Außerdem führt das Verfahren dazu, dass Ihre Risikoquote mit zunehmendem Alter langsam absinkt, ohne dass Sie Ihr Portfolio laufend nachjustieren müssen. Denn der Kapitalanlagetopf wird langsam kleiner, die Sollquote für den Fünf-Jahres-Topf aber bleibt gleich. Dabei sollten Sie sich aber keine Illusionen machen: Eine bessere erwartete Gesamtrendite bekämen Sie natürlich, wenn Sie komplett investiert wären. Aber das von mir vorgeschlagene vorsichtigere Verfahren schützt Sie vor sehr negativen Szenarien und es schont Ihre Nerven. Es hilft Ihnen so, die Strategie auch in Krisenzeiten durchzuhalten. Das ist viel wichtiger als eine Renditeoptimierung.
Sicherheitsnetz 3: Zurückhaltende Renditeerwartung
Als letzten Schritt müssen Sie Annahmen zur erzielbaren Rendite sowie zum eingegangenen Risiko treffen. Und da fängt das eigentliche Elend an. Gehen wir davon aus, dass Sie den Teil Ihrer Altersvorsorge, der in ein Wertpapierdepot fließen soll, mit einer Aktienquote von 50 % anlegen. Wenn Sie den Verlauf eines solchen Portfolios in einer sogenannten Monte-Carlo-Simulation berechnen, kommen Ergebnisse heraus, die mitunter Welten auseinanderliegen. Kein Wunder, der Kapitalmarkt ist von hoher Unsicherheit gekennzeichnet. Ich schlage Ihnen deshalb vor, für Ihre Altersvorsorge mit einer sehr vorsichtigen Renditeerwartung zu rechnen. Gehen Sie davon aus, dass es Ihnen insgesamt gelingt, die Kaufkraft Ihres Kapitals zu erhalten und dass die Rendite aus Ihrem Depot sowie aus dem Cash-Topf durchschnittlich nur so hoch sein wird wie die Inflationsrate. Diese pessimistische Renditeannahme ist Ihr drittes Sicherheitsnetz.
Wie Sie Ihren konkreten Kapitalbedarf ermitteln
Um die Höhe Ihres Kapitalbedarfs zu ermitteln, müssen Sie jetzt nur noch Ihren jährlichen Kapitalbedarf mit Ihrer optimistischen restlichen Lebenserwartung multiplizieren. Inflation und Rendite können Sie für diese Berechnung ignorieren, da sie sich rechnerisch aufheben. Dafür, dass das insgesamt aufgeht, gibt es zwar keine Garantie, aber mit solch vorsichtigen Annahmen wird Ihr Portfolio mit hoher Wahrscheinlichkeit bis an Ihr Lebensende durchhalten.
Wenn Sie trotzdem nach wie vor ein ungutes Gefühl haben: Das ist aufgrund der tief in unserer DNA verkabelten Verlustaversion ganz normal. Die Angst vor einem Horrorszenario, der Wunsch nach einer hundertprozentigen Sicherheit, ist vermutlich die wichtigste, aber beileibe nicht die einzige mentale Herausforderung, die mit einem Kapitalverbrauch im Alter verbunden ist. Das schauen wir uns im letzten Teil der Reihe näher an.
Alles Liebe
Ihr
Nikolaus Braun
Neunundvierzig Honorarberatung
P.S.: Zum Schluss noch ein Hinweis in eigener Sache:
Sie kennen in Ihrem Umfeld eine fähige Hochschulabsolvent:in oder Person mit kaufmännischer Ausbildung, optimaler Weise mit ein paar Jahren Berufserfahrung im Banking? Super freundlich, kundenorientiert, neugierig und in der Lage schnell dazuzulernen? Jemanden, der über eine Rolle als Service- und Juniorberater:in schrittweise in die Rolle als Honorarberater:in hineinwachsen will? Dann ermutigen Sie diese Person doch gerne uns zu schreiben, an 49@neunundvierzig.com.
P.P.S.: Wenn Sie es genau wissen wollen, nehmen Sie sich einen Honorarberater, der auf Finanzplanungen spezialisiert ist. Ein provisionsorientierter „Berater“ wird Ihnen mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Planung liefern, die mit seiner Produktpalette abgestimmt ist. An der Stelle bitten wir als Neunundvierzig um Verständnis, dass wir solche Planungen nur für Menschen erbringen können, mit denen wir dauerhaft zusammenarbeiten.
P.P. P. S.: Wenn Sie sich selber ausführlicher mit der Materie auseinandersetzen wollen, empfehlenswert: Gerd Kommer, Souverän investieren vor und im Ruhestand.
Hier die weiteren drei Beiträge aus unserer Serie zum Kapitalverbrauch:
• Wie Sie Fehler vermeiden
• Mit Unsicherheit klarkommen
• Die Angst vor dem Tod
09/03/2024