von Dr. Nikolaus Braun
Sehr geehrte Damen und Herren,
letzten Juli saßen zwei befreundete Anwältinnen, mein Sozius Stefan und ich beim Mittagessen, als das Gespräch von den (für mich) eher öden finanziellen und juristischen Fragen im Zusammenhang mit Vermögen zu der deutlich spannenderen Fragen schwenkte, welche Rolle Geld spielen kann, um ein erfüllteres Leben zu führen. Konkret: wann, wie schnell und wie viel Geld man am besten wieder ausgeben und verschenken sollte.
Was mache ich, wenn ich einmal reich und tot bin?
Machen wir uns nichts vor: Jeder Euro, den wir vor unserem Tod nicht ausgegeben haben, ist so wie einer, den wir nie gehabt haben. Schlimmer: Was nützt ein prall gefülltes Konto für alle Vergnügungen und Wünsche der Welt, wenn eine zunehmend schwankende Gesundheit es verhindert, diese umzusetzen? Soweit es Sie selbst betrifft, ist eines völlig klar: Alles, was eine gewisse Sicherheitsreserve für das Alter überschreitet, nicht auszugeben, ist reine Geldverschwendung.
Und fangen Sie mir bitte nicht damit an, dass Sie Ihr Vermögen ja nicht für sich selbst, sondern für Ihre Kinder horten würden, und die liebten Sie schließlich über alles. Ja? Und dann wollen Sie den Moment, an dem die Kinder in den Genuss Ihres Geldes kommen, wirklich vom völlig zufälligen und unkontrollierbaren Zeitpunkt Ihres Todes abhängig machen? Sollten Sie das nicht lieber selbst entscheiden?
Geld hat einen abnehmenden Grenznutzen – auch mit zunehmendem Alter
Wenn Sie älter sind: Denken Sie an Ihr eigenes Leben zurück. Wann hätte für Sie die Erbschaft oder das Geschenk von 50.000,- € oder 500.000,- € mehr Einfluss auf Ihre Lebensqualität gehabt: Mit 32, mit 52 oder mit 73?
Wie viel Urlaub haben meine Frau und ich mit Anfang 20 aus 1.500,- DM rausgequetscht und für wie lange reicht uns dasselbe Geld jetzt? Und da reden wir mal nicht über die monetäre Inflation, sondern die Inflation unserer Ansprüche und Bedürfnisse. Und das ist nur ein Aspekt: Was für eine gigantische Erinnerungsrendite haben wir inzwischen aus etwa fünf Wochen auf einer Vespa in Nordfrankreich generiert? Mal angenommen, wir hätten das Geld damals gespart und durch eine kluge Kapitalanlage bis heute nach Inflation verfünffacht (ca. 5,5 % Rendite) – was sollten wir heute mit diesem Geld anstellen, um diesen Verlust an Erfahrung, Erlebnis, Erinnerung und Beziehung zu kompensieren? Aussichtslos.
Junge Menschen profitieren im Regelfall stärker von Geld
Es ist ziemlich offensichtlich: In der Tendenz ist der Nutzen von Geld in jungen Jahren höher als später. Ja, junge Menschen können unreif sein, Geld – vor allem viel Geld – kann sie mental überfordern, ihnen sogar Angst machen, sie entwerten oder ihnen den Antrieb nehmen. Aber umgekehrt: Kindern, denen man nichts zutraut, trauen sich selbst nichts zu. Kein Wunder, dass die dann oft nicht viel erreichen. Also: Schauen Sie, dass Sie Ihr Geld loswerden, solange es den höchsten Nutzen für die Beschenkten hat. Das gilt in ähnlicher Form auch für Spenden an philanthropische Projekte.
Wenn – in George Bernard Shaws Worten – die Jugend an die Jugend verschwendet ist, ist Geld eventuell an die Alten verschwendet.
Ist man mit 73 reif genug, sein Erbe anzutreten?
Nein, es macht keinen Sinn, wenn 73-jährige Erben die Vermögensnachfolge ihrer mit 96 verstorbenen Vorfahren antreten. Ein Unsinn, den der eine oder andere Erblasser noch dadurch verschärft, indem er mitunter für schier endlose Zeiträume eine Testamentsvollstreckung anordnet. Wie uns eine der beiden am Gespräch beteiligten Anwältinnen berichtete, vertrete sie im Moment einen 67-jährigen Erben, der mit allen Mitteln versuche, seinen Testamentsvollstrecker vorzeitig loszuwerden. Der Mandant stehe nach dem Willen seines verstorbenen Vaters noch für die nächsten fünf Jahren unter Kuratel. Bis dahin – so hoffte der verstorbene Patriarch – würde der Jungspund sich endlich die Hörner abgestoßen haben …
Alles Liebe
Ihr Nikolaus Braun
P. S.: So, jetzt werde ich vermutlich endlich rausbekommen, ob meine Kinder unseren Blog wirklich lesen …
P.P.S.: Rückfragen, Kritik oder Anmerkungen schicken Sie gerne an nachdenken@neunundvierzig.com
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15/10/2022