von Stefan Heringer
Sehr geehrte Damen und Herren,
wenn es um unser Anlageverhalten geht, kann man den Einfluss kognitiver Verzerrungen gar nicht überschätzen. Den sprichwörtlichen Homo oeconomicus trifft man in Bezug auf die Börse nämlich tatsächlich nur extrem selten an, das Gros der Entscheidungen treffen Anleger emotional – natürlich fast immer, ohne dies sich selbst einzugestehen. Die grundlegenden Fallstricke der Anlegerpsychologie zu kennen, ist daher kein „Kinderkram für Anfänger an der Börse“, wie wir manchmal hören, sondern ein Thema, das auch Profis ausgesprochen ernst nehmen sollten.
Deshalb wollen wir in den nächsten Monaten in regelmäßigen Abständen kognitiven Verzerrungen auf den Grund gehen, die im Anlagekontext immer wieder zu Fehlern führen.
Heute analysieren wir den sogenannten Hindsight Bias. Dieser beschreibt das psychologische Phänomen, dass Menschen dazu neigen, ein Ereignis im Nachhinein als vorhersehbar einzuschätzen, obwohl es vor dessen Eintritt eine sehr hohe Unsicherheit gab. Denn hinterher hat man‘s meistens eben schon vorher gewusst.
Hier vier plausible, aber dennoch abwegige Thesen.
1. Biontech: Eine Traumrendite, die auch meine Oma hätte prognostizieren können
Wir hören zum Beispiel regelmäßig in Gesprächen, wie einfach es doch gewesen wäre, in der Corona-Pandemie Geld zu verdienen. Man hätte einfach nur auf den Impfstoffhersteller Biontech setzen müssen und nach dessen absehbarem Durchbruch von der Zulassung eines Impfstoffs profitiert. Gepaart mit dem Hinweis: „Solche Opportunitäten wahrzunehmen, erwarte ich mir von einem guten Verwalter.“ Es gab halt leider nur zahlreiche andere Firmen, die ebenfalls an vergleichbaren Impfstoffen gearbeitet und es eben nicht geschafft haben – denken Sie nur an Curevac. Es war also am Beginn der Pandemie reines Glückspiel, den Richtigen zu erwischen.
2. Apple: Ein absehbarer Jahrhunderterfolg
Apple ist eine der erfolgreichsten Firmen der letzten Jahrzehnte und der bahnbrechende Erfolg mit dem iPhone vorgezeichnet. Wirklich? Die Firma kämpfte vor gut 20 Jahren – nicht zum ersten Mal – ums nackte Überleben und hatte massive Probleme. Ohne den Erfolg des iPods gäbe es die Firma höchstwahrscheinlich gar nicht mehr. Ebenso konnte im Jahr 2007 niemand ansatzweise den Siegeszug des iPhones antizipieren. Steve Ballmer, damals CEO von Microsoft, hat vor dessen Erscheinen sichtlich amüsiert gemeint: „Wer soll 500 US-Dollar für ein Telefon ohne Tasten zahlen?“ Damals war übrigens das Blackberry unter Fachleuten der letzte Schrei und in Konzernhierarchien ein Statussymbol – die Älteren von Ihnen werden sich noch erinnern: Minibildschirm und noch kleinere Tastatur!
3. Die Dot-Com-Blase: Ein zwangsläufiges Desaster
Natürlich ist es auch heute jedem klar, dass der Neue Markt und die Technologiewerte Anfang 2000 zusammenbrechen mussten, das war ja nur eine Frage der Zeit. Die Bewertungen waren völlig aberwitzig, die für die Zukunft unterstellten Wachstumsaussichten illusorisch und deshalb der Einbruch irgendwann zwangsläufig. Warum hat dann trotzdem praktisch jeder mitgemacht und ist reingefallen?
4. Corona: Für die Börse erkennbar nur eine leichte Grippewelle
Die Pandemie war auch nur ein temporäres Ereignis und für die langfristigen wirtschaftlichen Auswirkungen – und damit die Börsenkurse – kaum relevant, deshalb war die schnelle Erholung absehbar. Wirklich? Warum hatten dann so viele Interessenten, die sich damals bei uns gemeldet haben, die blanke Panik vor einer jahrelangen weltweiten Depression und dem völligen Zusammenbrechen des weltweiten Kapitalismus und wollten nur irgendwie ihr Vermögen davor in Sicherheit bringen? Ihr Szenario: Erst gehen Fluglinien, Gastronomie und Touristik pleite, dann die Banken, mit der Folge einer Finanzkrise, die 2008 wie ein Kinderspiel aussehen lassen wird. Doch der dann über uns hereinbrechende Financial Meltdown wird Nichts sein im Vergleich zum potenziellen Zusammenbruch der bürgerlichen Ordnung…
Der zukünftige Verlauf des Kapitalmarkts ist ungewiss – im Rückblick gibt es immer nur noch eine Geschichte
Wann immer jemand über Ereignisse in der Vergangenheit schwadroniert und suggeriert, dass bestimmte Entwicklungen ja zwangsläufig so kommen mussten und man mit klugen Entscheidungen davon hätte profitieren können, sollten Sie stutzig werden. Niemand kann den Erfolg einzelner Branchen oder Unternehmen vernünftig vorhersagen. Niemand kann technologischen Fortschritt und dessen Folgen antizipieren, dasselbe gilt für gesellschaftliche und politische Entwicklungen. Machen Sie nicht den beschriebenen Fehler und überschätzen Ihre eigene Entscheidungsfähigkeit – und lassen Sie sich vor allem nicht von vermeintlichen Gurus erzählen, dass diese das besser könnten.
Demut vor dem eigenen (Un-)Wissen ist nicht weitverbreitet, und uns ist durchaus klar, dass diese Erkenntnis eine Zumutung ist. Wir verstehen, dass Menschen von ihrem Finanzberater erwarten, dass er über ein exklusives Wissen über die Zukunft von Märkten und Kursen verfügt, das ihnen ein mehr an Rendite und Sicherheit verschafft. Das funktioniert nur leider nicht. Ein guter Berater kann lediglich Verantwortung für die finanzielle Lebensplanung seiner Mandanten übernehmen, wenn dies konsequent evidenzbasiert und damit prognosefrei geschieht. Die Zukunft seiner Kunden vom Eintreffen der eigenen Prognosen abhängig zu machen, ist keine Alternative.
Alles Liebe
Ihr Stefan Heringer
Drei unserer Lieblingsblogs zum Thema ,klug entscheiden‘:
- Vergangene Performance ist kein Indikator für zukünftige Ergebnisse
- Warum es nicht gelingt, den Kapitalmarkt auszutricksen
- Defensive Anlagestrategien
27/06/2023