von Stefan Heringer
Sehr geehrte Damen und Herren,
es ist mal wieder so weit: Die Politik in Person der EU-Kommission versucht sich mal wieder am Thema Provisionsverbot im Finanzvertrieb. Der Druck auf die Finanzlobby in Deutschland steigt spürbar.
Provisionsverbot statt zahnloser Transparenzrichtlinien!
In den letzten Jahren sind zwar immer wieder Maßnahmen für mehr Transparenz eingeführt worden – zuletzt 2018 im Rahmen der EU-Finanzmarktrichtlinie MiFID II. In der Realität hat sich aber nach unserer Beobachtung an der Qualität der Finanzberatung wenig verbessert. Es wird zwar vieles protokolliert und dokumentiert, aber die grundsätzliche Problematik der Intransparenz bleibt bestehen. Welcher Verbraucher liest schon die Kostenaufstellungen irgendwo im Kleingedruckten, zumal die wahren Kosten weiter so gut es geht verschleiert werden können. Wenn Sie das nicht glauben, rechnen Sie einfach mal bei einem Ihrer Altersvorsorgeverträge – sofern vorhanden – die Kostenbelastung in Prozent und Euro aus, ich wünsche Ihnen viel Erfolg dabei!
Das Provisionssystem lebt von Intransparenz
Die meisten Verbraucher wissen entsprechend leider immer noch viel zu wenig über die Höhe der Gebühren, Provisionen und Bestandsvergütungen sowie über den immensen Schaden, der dadurch zu ihren Lasten entsteht. Im Jahr 2021 zahlten beispielsweise deutsche Versicherer über 8 Mrd. € nur an Provisionen für die Vermittlung ihrer Produkte – alles Geld, was natürlich die Verbraucher bezahlt haben. Die EU-Kommission hegt zu Recht Zweifel, ob die bisherigen Maßnahmen ausreichend sind, um eine verbraucherfreundliche Beratung in einem so elementaren Thema wie Vermögensberatung und Altersvorsorge zu gewährleisten.
Es ist eigentlich ganz einfach, liebe Leser: Nicht Sie zahlen Ihren Banker oder Finanzberater, sondern die Finanzindustrie. Und deshalb vertreten diese auch nicht Ihre Interessen, sondern die Interessen der Produkthersteller. Diesen diametralen Interessenkonflikt kann man nur beseitigen, wenn das Grundübel Provisionen endlich abgeschafft wird.
Die Nervosität der Provisionslobby nimmt zu
Wie nicht anders zu erwarten, bringt sich die mächtige Finanzlobby schon in Stellung. Das macht man zum einen mit bezahlten, sehr zweifelhaften Studien, zu denen wir auf dem Blog der Neunundvierzig und im Hartmut-Walz-Blog wiederholt Stellung genommen haben.
Zum anderen mit indirekter Einflussnahme politischer Entscheidungsträger. Wir wollen nicht zu politisch werden, aber es ist schon bemerkenswert, wie konsequent immer wieder liberale, konservative und sozialdemokratische Entscheidungsträger das offensichtliche volkswirtschaftliche Übel ignorieren, das der Provisionsvertrieb anstellt. Und das, obwohl Verbraucherschützer und Organisationen wie die Finanzwende dies seit Langem anprangern. Winkt da vielleicht nach der politischen Karriere ein hochdotierter Beratervertrag oder Aufsichtsratsposten wie bei einem ehemaligen Arbeitsminister oder Wirtschaftsweisen? Ein Schelm, wer Böses dabei denkt …
Ohne Provisionen gibt es angeblich keine Beratung mehr für die breite Masse
Und so trommeln auch jetzt wieder alle Finanzlobbyisten für den Erhalt von Provisionen – vorrangig mit demselben dummen Argument: Wenn Provisionen abgeschafft werden, können oder wollen sich viele Menschen Finanzberatung nicht mehr leisten und sind auf sich allein gestellt, was ihre finanzielle Zukunft angeht. Gratulation, liebe Privatkunden: So schnell wird man von einer willkommenen Melkkuh zum argumentativen Schutzschild gegen eine vermeintliche Überregulierung!
Provisionsverbot – und dann?
Was würde denn passieren, wenn Provisionen im Finanzvertrieb tatsächlich abgeschafft werden?
Es würde mitnichten das komplette Beratungsangebot zusammenbrechen. Das Verbot käme sicher nicht abrupt, sondern mit einer Übergangsphase von mehreren Jahren. In dieser Zeit könnten sich alle Marktteilnehmer darauf einstellen und innerhalb kurzer Zeit gäbe es verschiedenste Angebote mit transparenten Honoraren. Es gibt nur leider aktuell überhaupt keinen Anreiz dafür, weil die Branche mit Provisionen schlicht deutlich mehr verdient. Schließlich ist es wesentlich einfacher, den Kunden hintenrum abzukassieren, als die eigene Dienstleistung transparent in Rechnung zu stellen.
Schon heute werden im Übrigen die Honorare bei den meisten Honorarberatern nicht auf Stundenbasis, sondern prozentual auf das angelegte Volumen abgerechnet. So viel zum abschreckenden Argument von zu hohen Stundensätzen.
Es gibt heute schon genügend Angebote für Kleinsparer und weniger vermögende Klientel.
Viele FinTechs, bei denen Verbraucher einfache, standardisierte Vermögenslösungen zu günstigen Preisen bekommen, werben mit sehr geringen Einstiegsvolumina im vierstelligen Bereich.
Varianten mit unterschiedlichen Servicelevels je nach Volumen oder Komplexität gibt es ebenfalls auch heute schon und wären ebenfalls problemlos für alle Anbieter adaptierbar.
Je nach Qualifikation des Beraters wären unterschiedliche Honorarsätze die Regel. Ein Anwalt, der Partner bei einer internationalen Großkanzlei ist, hat auch andere Stundensätze als ein Berufsanfänger bei einer lokalen Kanzlei, der frisch von der Uni kommt. Die Berater hätten dementsprechend einen Anreiz, sich permanent weiterzubilden, was für die Qualität der Beratung sicher zuträglich ist.
Der Staat muss Beratung subventionieren nicht toxische Finanzprodukte
Im Zweifelfall könnte der Staat die Beratung für sozial schwächere Menschen mit Gutscheinen subventionieren – gemessen an den Steuermilliarden, die bisher in weitgehend unsinnigen Produkten wie Riester und Rürup versenkt wurden, wären das eher Rundungsfehler.
Der willkommenste Effekt aber wäre, dass viele toxische Produkte, die keinerlei Nutzen für Verbraucher stiften und einzig dazu da sind, den Finanzvertrieb zu füttern, vom Markt verschwinden würden. Warum es ein Verlust für die Verbraucher in Deutschland sein soll, dass geschulte Verkäufer ihnen keinen finanziellen Giftmüll mehr andrehen dürfen – das verstehe, wer will.
Provisionsverbot jetzt!
Wir können nur hoffen, dass auch die Politik endlich gemerkt hat, dass der vorherrschende Provisionsvertrieb systematisch gegen den Kunden gerichtet ist, und den Mut aufbringt, Provisionen abzuschaffen. Aufgabe des Staates ist es einen klaren ordoliberalen Rahmen für freien Wettbewerb zu schaffen und gerade die sozial Schwächeren zu schützen und zu unterstützen – nicht einen volkswirtschaftlichen und juristischen Unsinn immer kleinteiliger dokumentieren zu lassen und die Taschen der Finanzindustrie zu füllen.
Wir sind fest davon überzeugt, dass es nur so endlich flächendeckend bessere, fairere Finanzberatung geben wird! Im Sinne der Verbraucher wäre es zu wünschen. Und wie schon einmal angemerkt: Wer einen Sumpf trockenlegen will, sollte nicht die Frösche fragen.
Alles Liebe
Ihr Stefan Heringer
P. S.: Rückfragen, Kritik oder Anmerkungen schicken Sie gern an nachdenken@neunundvierzig.com
Drei unserer Lieblingsblogs zum Irrsinn im Provisionsvertrieb:
- Wir sind Testsieger für die beste Honorarberatung - NICHT!
- Wenn die Bank mehr profitiert als der Kunde: der Klimavest der Commerzbank
- Banken sind wie Vampire, die eine Blutbank verwalten
04/02/2023