von Dr. Nikolaus Braun
Sehr geehrte Damen und Herren,
was ist eigentlich los in diesem Land? Uns geht es so gut wie noch nie zuvor. Knapp achtzig Jahre Frieden, weitgehende soziale Sicherheit, medizinischer Fortschritt, ein vollständig demokratischer Zugang zu jeglichem Wissen (und Unsinn) über das Internet, immense Fortschritte beim Umbau der Energiewirtschaft … Das alles ist deutlich besser als noch vor zwanzig Jahren, viel besser als vor fünfzig Jahren und Lichtjahre besser als vor hundert Jahren.
Aber statt sich darüber zu freuen und die bestehenden Herausforderungen anzugehen, spielen wir zunehmend Weimarer Republik: Wir lassen uns in Echokammern treiben und hören auf, mit Menschen, die andere Überzeugungen haben, ergebnissoffen und freundlich zu diskutieren. Woher kommt diese Angst vor der Zukunft, das mangelnde Vertrauen, Dinge gestalten zu können? Dieses Land hat doch genügend Know-how und Ressourcen, um Themen wie Migration, demographischen Wandel, Digitalisierung und Klimakrise zu meistern.
Warum suchen immer mehr Menschen ihre ideologische Zukunft in einer autoritären, spießig engen Welt der Fünfziger-, wenn nicht Dreißigerjahre oder im Zerrbild einer kuschligen sozialistischen Vergangenheit? Wer kann denn ein Interesse an einer immer weiteren Polarisierung haben?
Was hat das Ganze mit Geld und Finanzen zu tun?
Wir sollten alle unseren Beitrag leisten und in unserem Umfeld STOPP sagen, nicht mehr weghören, wo unser wunderbares freies und liberales Land, wo ein gemeinsames Europa unter Beschuss kommt. Bei manchen Fragen ist das offensichtlich, bei anderen Themen finden Manipulation und Beeinflussung dagegen unter der Oberfläche statt. So unauffällig, dass wir es fast nicht merken.
Deshalb werden wir uns, wo das den Finanzbereich betrifft, in Zukunft mehr denn je einmischen: Wir werden weiter darauf hinweisen, dass Verschwörungsrhetoriker wie Marc Friedrich, Dirk Müller, Markus Krall und bedingt Max Otte nicht nur völlig irrationale Anlagestrategien propagieren und dabei selbst reich werden, während sie das Vermögen ihrer Anleger gefährden.
Wir werden auch die politische Seite der Gleichung stärker in den Fokus nehmen und zeigen, wie diese Crash-Propheten mal ganz offen, mal eher verdeckt rechtsextreme Narrative bedienen.
Sei es:
• durch antisemitische Codes wie „Plutokraten“ oder „Machtnetzwerke“ bei Müller,
• durch das Infragestellen der Grundregeln der Demokratie, etwa die Forderung, das Wahlrecht für die Bezieher von BAföG und Bürgergeld zu streichen, bei Krall oder
• durch hyperventilierende politische Hetze bei Friedrich oder dem rechtspopulistischen Goldhändler Lutz Kettner
Dabei ist es immer wieder der Popanz einer angeblich drohenden Hyperinflation, der dazu führt, dass Menschen über ein scheinbar neutrales wirtschaftliches Thema in die rechte Filterblase gezogen werden. Berechtigte Sorgen werden dabei zunächst mit (fast) sinnvollen Strategien bedient und dann binnen kurzer Zeit immer lauter, aufgeregter und gehetzter ins Groteske verzerrt. Crash-Propheten sind die fünfte Kolonne des Rechtsextremismus, ihre politische Haltung ist genauso destruktiv, freudlos und falsch wie ihre Finanzrezepte.
Es ist sicher nicht unsere Aufgabe, Menschen politisch zu erziehen, aber wenn es um die konkrete Zusammenarbeit geht, haben wir schon bei unserer Gründung 2017 in unser Willkommensbuch eine klare rote Linie gezogen: „Was uns mit [unseren Mandanten] verbindet? Ihnen sind Nationalismus, Rassismus oder Homophobie zuwider. So wie uns auch. Mit Personen, die unter solchen Vorstellungen oder Verschwörungstheorien leiden, arbeiten wir nicht zusammen.“
Darf ein Honorarberater sich gesellschaftlich einmischen? Nein: Er muss!
Vor ein paar Wochen war ich in Köln mit einem guten Bekannten, nennen wir ihn mal Franz, beim Mittagessen. Ich mag Franz sehr: Er ist unglaublich analytisch, schnell im Kopf, kann fantastisch zuhören und saugt jede Information auf wie ein Schwamm. Er ist alles andere als ein Schwarzseher. Gegen Ende des Gesprächs hat er mir eine Frage gestellt, die mich bis heute nicht loslässt. Ich gebe den Dialog hier ein Stück verkürzt wieder:
• „Niki, ich glaube nicht, dass das sehr wahrscheinlich ist, aber wenn dieses Land kippt – was mache ich dann?“
• „Wie meinst du das?“
• „Ich bin ein schwuler, linker Aktivist – mich wird es mit als Erstes treffen. Wie hilft mir das bisschen Geld, das ich habe, hier rechtzeitig wegzukommen?“
• „Du spinnst, kein Mensch interessiert sich mehr dafür, ob jemand schwul ist oder nicht.“
• „Aus meinem Heimatort in Westfalen gibt es ein Foto von 1932: Der evangelische und katholische Pfarrer und der Rabbi stehen einträchtig zum Heldengedenktag am Kriegerdenkmal. […] Du weißt, wenn es mal kippt, kann es ganz schnell gehen …“
Drei Stunden später habe ich mich mit einer über achtzigjährigen jüdischen Mandantin getroffen. Die Quintessenz eines zweistündigen Gesprächs: „Wenn ich einmal nicht mehr da bin, dann kann dieses Geld der Rettungsschirm für meine Kinder und Enkel sein.“
Deutschland! 2025!! Eine alte Jüdin und ein homosexueller Aktivist müssen sich allen Ernstes Gedanken darüber machen, wie sie oder ihre Familien im Notfall rechtzeitig aus dem Land kommen. Das ist – verzeihen Sie den Ausdruck – wirklich zum Kotzen. Und darum dürfen wir uns nicht nur einmischen, wir müssen es!
Liebe Grüße
Nikolaus Braun
Neunundvierzig Honorarberatung
P. S.: Ich freue mich auf Rückmeldungen unter: nachdenken@neunundvierzig.com
Hier unsere dreiteilige Serie zum Thema Crash-Propheten:
- Retten Sie Ihr Vermögen! Jetzt kommt der Crash-Prophet! Teil I: Die Rhetorik des Untergangs
- Retten Sie Ihr Vermögen! Jetzt kommt der Crash-Prophet! Teil II: Fakten-Check
- Retten Sie Ihr Vermögen! Jetzt kommt der Crash-Prophet! Teil III: Ergebnisse
22/02/2025