von Stefan Heringer
Sehr geehrte Damen und Herren,
vor Kurzem haben wir an dieser Stelle zum wiederholten Mal kapitalbildende Versicherungen kritisiert und diese als nicht zielführend für die Altersvorsorge bezeichnet.
Sind Lebensversicherungen meist toxische Produkte oder ist alles nur Polemik?
Wir haben einige Zuschriften bekommen, die uns Polemisierung und eine unverantwortliche Kritik an einer – Zitat – „Basisanlage für breite Bevölkerungsschichten“ zu üben. Wir würden damit Menschen davon abhalten, fürs Alter vorzusorgen, sodass diese stattdessen gar nichts tun und deshalb später in die Altersarmut abdriften.
Wir möchten deswegen unsere sehr deutliche Kritik mit Fakten unterfüttern, damit auch jeder nachvollziehen kann, dass dies eben keine Polemik, sondern leider bittere Realität ist. Und weil das Problem nach unserer Beobachtung wirklich breite Bevölkerungsschichten trifft, Normalverdiener wie Hochvermögende, Hochschulprofessorinnen wie Arbeiter und Angestellte, werden wir in den nächsten Wochen den Fokus unregelmäßig auf eine Reihe eher unangenehmer Fakten dieses „deutschen Irrwegs“ legen. Passend zu Halloween beginnen wir heute also unser kleine Reihe: der kleine Horrorladen.
Haben Lebensversicherungen einen disziplinierenden Effekt?
Nicht unerwähnt lassen möchten wir bei aller Kritik an Versicherungen als Sparprodukt einen Vorteil, der zumindest teilweise zurecht angeführt wird – den disziplinierenden Effekt solcher Verträge. Für viele Menschen ist das Thema Altersvorsorge lästig und man beschäftigt sich nur sehr ungern damit. Deshalb sind viele Menschen auch so willige Opfer, wenn ihnen ein Verkäufer ein Produkt vorsetzt, das mit einer Unterschrift scheinbar ihr Problem löst. Danach wird die Police abgeheftet, die Beiträge werden fleißig gespart und der Vertrag jahrzehntelang nicht mehr angesehen – schließlich hat man das Thema bereits abgehakt. Und wenn einmal monatlich 50 €, 200 € oder 500 € automatisch abgebucht werden, dann merke ich nach einiger Zeit gar nichts mehr davon – es wird zum Automatismus und ich laufe nicht mehr Gefahr, das Geld zu verkonsumieren.
Das war‘s dann aber auch schon mit den Vorteilen, zumal rund die Hälfte der Lebens- und Rentenversicherungen vor der Ablaufzeit aufgelöst werden. Der angeblich disziplinierende Effekt einer Rentenversicherung auf den Sparer ist also ziemlich begrenzt und zum Großteil eine akustische Täuschung der Versicherungsbranche.
Der Rentenfaktor: eine einfache Kennzahl Ihrer Lebensversicherung, die jeder überprüfen kann
Heute wollen wir uns eine sehr einfache und effektive Kennzahl zur schnellen Bewertung von Versicherungen anhand eines konkreten Beispiels mal genauer ansehen: den Rentenfaktor.
Ein Rentenfaktor von 14,06 € wie im vorliegenden Vertrag bedeutet, dass die Kundin mit Geburtsjahr 1985 zum Renteneintritt 14,06 € monatliche Rente pro 10.000,- € Kapitalstock bekommen würde. Ob das gut oder schlecht ist? Rechnen wir mal nach:
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10.000,- € : 14,06 € = 711,23
Nach 711,23 Monaten hätte die Dame also ihr Kapital unverzinst (!) wieder zurück. -
711 : 12 = 59,25
Im Klartext also nach über 59 Jahren. Kann das wahr sein? Ihr Renteneintritt wäre ja schließlich erst mit 65 Jahren. -
65 Jahre + 59 Jahre = 124 Jahre
Aber dann müsste Sie ja mindestens 124 Jahre alt werden, um ihr Geld unverzinst wiederzusehen. Das kann doch nicht legal sein – wir müssen uns verrechnet haben?! Es gibt doch aktuell nur zehn Deutsche, die überhaupt über 110 Jahre alt sind – die Älteste darunter gerade mal 113.
Doch, das ist legal – und da ist kein Rechenfehler drin PUNKT, AUSRUFEZEICHEN. Selbst Jopi Hesters hätte also bei so einer Versicherung draufgezahlt!
Der Rentenfaktor: eine einfache Kennzahl Ihrer Lebensversicherung, die jeder überprüfen MUSS
Ich kann nur jedem empfehlen, seine eigenen Altersvorsorgeverträge auf deren Rentenfaktor hin zu überprüfen. Sie kriegen damit sehr einfach und schnell eine Indikation.
Ein Vertrag mit einem garantierten Rentenfaktor unter 25 – was bei Neuverträgen mittlerweile eher die Regel als die Ausnahme ist –, kommt einer Enteignung schon relativ nahe. Schließlich muss man damit mehr als 33 Jahre nach dem Renteneintritt durchhalten, um sein Kapital überhaupt wiederzusehen:
- 10.000 : 25 = 400
- 400 : 12 = 33,33
Erst ab einem Rentenfaktor von 35 aufwärts wird es einigermaßen erträglich, was aber noch lange nicht gut bedeutet
Generell sollten sie immer nur mit dem garantierten Rentenfaktor rechnen. Die Versicherer haben in den letzten Jahren kontinuierlich ihre Überschüsse gesenkt und zahlen bei sehr vielen Verträgen nur noch die vertraglich garantierte Leistungen. Dieser Trend wird sich weiter fortsetzen – alles andere ist gefährliches Wunschdenken.
Und noch ein wichtiger Tipp, bevor Sie diese Rechnung bei Ihren eigenen Verträgen machen: Besorgen Sie sich vorher einen guten Rotwein oder besser gleich einen Whiskey. Ihr Gemütszustand wird es Ihnen danken.
Alles Liebe
Ihr Stefan Heringer
P.S.: Rückfragen, Kritik oder Anmerkungen schicken Sie gerne an nachdenken@neunundvierzig.com
Hier können Sie die weiteren drei Teile aus unserer Reihe "Der kleine Horrorladen" lesen:
29/10/2022