von Stefan Heringer
Sehr geehrte Damen und Herren,
konsumieren Sie (andere) Finanzblogs (als unseren)? Lesen Sie Hefte wie „Focus Money“, „Der Aktionär“ oder „Börse Online“? Schauen Sie Finanznachrichten auf n-tv oder haben Sie Finanz-Apps auf Ihrem Handy?
Also wirklich? Muss das sein? Glauben Sie ernsthaft, dass Ihnen solche Finanzunterhaltung weiterhilft? In der amerikanischen Finanzwissenschaft werden die Berichterstattungen, Artikel, Sendungen und Diskussionen zum Kapitalmarkt – kurz: der ganze Lärm um die Börse – abfällig „investment pxxx“ genannt. Und dieser Begriff passt tatsächlich hervorragend. Denn genau wie in Schmuddelfilmen werden auch in diesen Formaten permanent menschliche Urtriebe befriedigt. Zwar nicht der Fortpflanzungstrieb, aber die fast ebenso starken Impulse Angst und Gier.
Ihr Honorarberater warnt: Angst und Gier vernichten Vermögen
Ihre Gier wird mit Überschriften wie „In 7 Jahren zum Millionär“, „Mehr Gewinne als die Profis“ oder „Die besten Aktien für das neue Jahrzehnt“ befeuert. Ihre Panik oder besser Verlustangst mit so reißerischen Beiträgen wie „Euro am Abgrund“, „Retten Sie sich vor dem Jahrhundert-Crash!“ oder „Doktor Doom warnt vor den Parallelen zur Finanzkrise“. Diese oder ähnliche Überschriften haben Sie sicherlich schon häufiger gesehen.
Ja, es geht auch etwas weniger überspitzt. Aber auch in vermeintlich seriösen Blättern wie „Handelsblatt“ oder „Financial Times“ präsentieren die Wirtschaftsredaktionen regelmäßig ihre Liebslings-Aktien aus dem DAX oder Dow Jones und beleuchten, warum Sie JETZT UNBEDINGT AUS ANLEIHEN AUSSTEIGEN MÜSSEN!
Alle diese Artikel haben zweierlei gemeinsam: Es macht Spaß, sie zu lesen, und sie sind völlig nutzlos. Und Spaß macht es im Übrigen auch nur, wenn man ein Faible dafür hat, oder zur eigenen Belustigung.
Finanzjournalisten haben keinen systematischen Informationsvorsprung
Denken Sie allen Ernstes, dass ein angestellter Redakteur bei einer Zeitung oder einem Magazin mehr oder bessere Informationen über eine Aktie wie sagen wir Siemens hat als Tausende andere professionelle Investoren, die sich tagtäglich mit deren Bewertung beschäftigen? Glauben Sie ernsthaft, dass Sie durch das Lesen von deren Ergüssen irgendeinen Mehrwert ableiten können? Zumal die Analyse ja nicht nur von Ihnen gelesen wird, sondern von zig anderen Menschen auch.
Der Kapitalmarkt ist extrem effizient, sämtliche verfügbaren Information werden in Sekundenbruchteilen verarbeitet und fließen entsprechend in die Kursentwicklung ein. Börsenkurse sind folglich das Aggregat aller Informationen und der kumulierten Meinungsbildung aller Marktteilnehmer zusammen – sozusagen das Ergebnis der globalen Schwarmintelligenz. Die beste Orientierung am fairen Preis eines Wertpapiers oder Marktes ist entsprechend immer der aktuelle Kurs und ganz sicher nicht die Prognosen und das Geblöke irgendwelcher vermeintlicher Experten.
Ihr Honorarberater empfiehlt: Wenn Sie Unterhaltung suchen, gehen Sie lieber in den Zirkus
Journalisten und Redakteure in der Börsenberichterstattung werden nicht dafür bezahlt, dass Ihr Portfolio vernünftig aufgestellt ist. Sie werden dafür bezahlt, gelesen oder gehört zu werden. Und das schafft man nur, wenn man immer dieselben Mechanismen verwendet und unsere menschlichen Instinkte befriedigt.
Tun Sie sich selber einen Gefallen und schalten Sie dabei auf Durchzug, schalten Sie den Finanzunterhaltungskanal aus, löschen Sie am besten sämtliche Finanz-Apps auf dem Handy, Abos von Finanzblogs.
Haaaaalt!!! Nicht unseren …
Alles Liebe
Ihr Stefan Heringer
P. S.: Rückfragen, Kritik oder Anmerkungen schicken Sie gern an nachdenken@neunundvierzig.com
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22/04/2023