von Dr. Nikolaus Braun
Sehr geehrte Damen und Herren,
wie Sie in den letzten Beiträgen zur Diversifikation gesehen haben, ist ein gut diversifiziertes Portfolio kein Hexenwerk. Und dennoch kann Diversifikation für den Anleger eine regelrechte Zumutung sein. Denn die eigentlichen Probleme mit der Diversifikation liegen nicht auf der fachlichen Ebene – die ist, was die generellen Prinzipien angeht, relativ unstrittig. Da wir alle Menschen aus Fleisch und Blut und keine Excel-Spreadsheets mit Beinen sind, kommt uns wie so oft beim Investieren eine ganze Reihe kognitiver Verzerrungen und mentaler Herausforderungen in die Quere.
Wer diversifiziert, hat keine Chance auf den Jackpot
Wer in ein breit diversifiziertes Portfolio investiert, hat keine Chance mehr auf das Jackpot-Investment. Ihr Nachbar hat rechtzeitig Apple, Tesla oder Bitcoin gekauft? Hat die Hälfte seines Geldes dieser unglaublich intelligenten – und noch dazu so gut aussehenden – Starinvestorin anvertraut und verfünffacht? Schön – aber nicht für Sie. Sie schauen hinterher. Allerdings waren Sie auch nicht dabei, als er die gesamten Gewinne und die Hälfte der Substanz wieder verloren hat. Aber das hat er Ihnen vermutlich nicht mehr erzählt …
Diversifikation kränkt das Ego
Gerade männliche Investoren und insbesondere diejenigen, deren Beruf das Investieren ist – Finanzberater, Banker, Vermögensverwalter, Wertpapierspezialisten –, tun sich ausgesprochen schwer damit, den Kontrollverlust zu akzeptieren, der mit einer konsequenten Diversifikation einhergeht. Freud lässt recht herzlich grüßen. Was macht das mit meiner Selbstdefinition, meinem Selbstbewusstsein, wenn ich nicht mehr derjenige bin, der als Börsen-Siegfried dem Kapitalmarkt-Drachen auf den Leib rückt? Insofern erfordert Diversifikation ein hohes Maß an Demut und buddhistischer Gelassenheit.
Diversifikation führt zu einem immensen Referenzrahmenrisiko
Es sind nicht nur die verpassten Jackpot-Investments, die die Angst des Anlegers befeuern, etwas zu verpassen. Schon eine Investition in den MSCI All Country World IMI führt zu einem erheblichen Referenzrahmenrisiko. Was meine ich damit? Die meisten Anleger vergleichen ihre Anlage. Die Klügeren mit dem MSCI World Index, die Dümmeren mit dem DAX. Doch während der MSCI World Unternehmen in 23 entwickelten Märkten abbildet, beinhaltet der MSCI ACWI auch mit 10,0 % des Geldes Aktien aus 24 Schwellenländern. Wenn jetzt aber – wie in den letzten Jahren – Schwellenländer deutlich schlechter laufen als etablierte Märkte, führt das zwangsläufig zu Frustration. Natürlich ist es fachlich richtig, ja notwendig, Schwellenländer in sein Portfolio aufzunehmen. Und dennoch steigt der mentale Druck auf den Anleger, seine Strategie auch durchzuhalten, häufig auf ein kaum erträgliches Maß. Zumal wenn man seit Daniel Kahnemanns und Amos Tverskys Forschung zur Verlustaversion weiß, dass Menschen Verluste doppelt so stark wahrnehmen wie Gewinne.
Dieses Referenzrahmenrisiko ist auch der Grund, warum ich Selbstentscheidern dringend davon abrate, sich an Smart-Beta- oder Faktorinvestieren zu versuchen, obwohl das – richtig gemacht – fachlich sicher sinnvoll ist. Der Anteil an Schwellenländeraktien und Nebenwerten, die im MSCI ACWI IMI enthalten sind, ist schlimm genug auszuhalten. Zusätzlich dazu noch Verzerrungen durch Value, Momentum, Quality oder Profitability zu ertragen, erhöht nur das Risiko, schleichend immer weiter vom Weg abzukommen oder irgendwann alles entnervt hinzuschmeißen.
Diversifikation ist letztlich auch eine Befreiung von unproduktiven Gedanken
Wenn man das alles einmal akzeptiert hat, ist Diversifikation letztlich eine Befreiung. Sie schließt eine ganze Latte unnötiger Risiken aus, ist relativ einfach umzusetzen und setzt dadurch eine Menge an Zeit und Energie frei, die Sie besser in die Dinge investieren, die Ihnen wirklich wichtig sind: Familie, Freunde oder Ihren Beruf. In diesem Sinne
alles Liebe
Ihr
Nikolaus Braun
Neunundvierzig Honorarberatung
Drei unserer Lieblingsblogs zum Thema ,Klug entscheiden‘:
- Megatrends - muss das sein?
- Warum es nicht gelingt, den Kapitalmarkt auszutricksen
- Defensive Anlagestrategien
P. S.: Rückfragen, Kritik oder Anmerkungen schicken Sie gern an nachdenken@neunundvierzig.com
11/11/2023